DAS PROJEKT
Ich möchte hier die Erinnerungen an extremste Erfahrungen, an erlittene und eingeprägte Verletzungen untersuchen. In den meisten Fällen sind Faktoren am Werk, die den Gedächtnisspeicher von deformieren oder stören: Die Erinnerung eines Traumas, das sich tief eingeprägt hat, ist selbst traumatisch, weil es schmerzt oder zum mindest stört, es wieder hervorzurufen: Wer verletzt wurde, neigt dazu die Erinnerung wegzuschieben, um den Schmerz nicht neuerlich zu erleben, wer verletzt hat, verbannt die Erinnerung tief in sich um sich von seiner Schuld zu befreien.
Primo Levi ( Die Untergegangenen und die Geretteten)
Jeder Mensch charakterisiert sich durch seine Geschichte und von dieser hängen seine Entscheidungen und folglich sein Schicksal ab. Die Geschichte der Personen zu kennen, die uns umgeben, hilft uns, uns auch uns selbst besser kennen zu lernen. Wir werden von Bildern von Krieg und Schicksalen auf der ganzen Welt überschüttet und, gesättigt von der Schlechtigkeit, fragen wir uns nicht mehr, was mit Menschen passiert, die diese Tragödien am eigenen Leib erfahren.
1991 ist im ehemaligen Jugoslawien ein Krieg entbrannt, der viele Menschen ganz unvorbereitet traf. Die Besonderheit, die von den Überlebenden geteilt wird, ist jenes Erstaunen angesichts eines Krieges, der Gewalt und des Hasses, die im eigenen Haus unmöglich erschienen, die sich zwischen Nachbarn entlud und zwischen Menschen, die zuvor nichts weiter als andere Mitbürger im gleichen Land gewesen waren.
In Europa scheint die beschämende Vergangenheit der ethnischen Säuberung mit dem Ende des Faschismus begraben zu sein, oder zumindest das Ausmass, mit dem man zuvor auf unserem Kontinent getötet hat. Der Balkankrieg hat das Gegenteil bewiesen und uns gezeigt, dass die schlimmsten Geschehnisse direkt vor unserer Tür stattfinden können. Die schrecklichen Geschehnisse der 90er Jahre haben viele Wunden wieder geöffnet, die davon zeugen, dass Gruppen oder Individuen immer noch fähig sind und den Willen einander die Vernichtung zu wünschen.
Plötzlich gab es in den westlichen europäischen Staaten eine grosse Zahl von Flüchtlingen, die politisches Asyl suchten.Wer in den der ersten Hälfte der 90er Jahre zur Schule ging, erinnert sich an neue Klassenkameraden, die mit eigenartigen Namen einer unbekannter Sprache und einem anderen Blick in den Schulbänken sassen. Man wusste von einem Krieg, der im Fernsehen stattfand und das jene Mitschüler daher kamen. Aber niemand wusste, was ein Krieg war und was diese fremden Kinder durchgemacht hatten, bevor sie durch die Tür des Klassenzimmers traten. Es entluden sich mitunter ein kindischer Fremdenhass gegen die, die die Sprache nicht konnten und nicht gleich sympathisch war, sondern sich verteidigte oder lächerlich machte um Teil der neuen Gruppe zu werden. Ausserhalb der Schule hörte man sich die ersten Meinungen bilden, über angebliche Kriminalität, Diebstahl, Gewalt und wer jugoslawisch war, trug den Stempel „anders“,“böse“,“gewalttätig“ und „Feind“.
Diese Arbeit möchte zeigen, was Menschen in diesem Krieg durchlebt haben, unterschiedlichste Facetten ihrer Geschichten beleuchten und die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven und Lagern betrachten. Verbindender Punkt der Lebensläufe ist, dass die Personen der Dokumentation alle im Land geblieben sind, das ihnen während des Krieges Asyl gewährt hatte. 20 Jahre nach dem letzen grossen europäischen Konflikt möchten wir also einige Geschichten von Menschen rekonstruieren, die zum heutigen Zeitpunkt den Grossteil ihres Lebens in der Schweiz zugebracht haben, einem Land, das nicht ihr eigenes ist und indem sie an einem unbekannten Ort eine neue Identität finden mussten.
Es handelt sich um Menschen, die sich unter die Masse gemischt haben, die die Spuren ihrer Vergangenheit verschwinden liessen, die jedoch die Erinnerung an eine für den Menschen stärkste Lebenserfahrung, den Krieg, in sich tragen.
Alan Alpenfelt